• Foto: Richard Becker

Eugen Bolz. Politiker und Widerständler.
von Jeremias Heppeler

Der Rottenburger Eugen Bolz war überzeugter Demokrat und Christ und ein Widerständler ganz eigener Prägung. Vor der Machtergreifung des NS-Regimes war er in Württemberg, erst Justizminister, dann Innenminister und Staatspräsident. Zudem war er Abgeordneter des Reichstages in Berlin, wo er trotz eigener Zweifel für das Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte. 1933 wurde er in Stuttgart von den Nationalsozialisten aus seinen Ämtern vertrieben. Bereits 1934 formuliert er: „Bei offensichtlichen und dauerndem Mißbrauch der Staatsgewalt besteht ein Notwehrrecht des Volkes“. Er war viel rascher, viel weiter als seine späteren Mitverschwörer im Schattenkabinett um Goerdeler. Nach einem erfolgreichen Attentat auf Hitler sollte Bolz als Kultusminister in Deutschland das Land wieder mit aufbauen. Doch so weit kam es nie. Das Stauffenberg-Attentat scheiterte. Eugen Bolz wird durch das Regime verhaftet, verhört und zum Tode verurteilt. Bis zuletzt blieb er seinen christlichen Idealen treu. Demokratie und Parlamentarismus waren für ihn ohne Alternative.

Ausgehend von Originaldokumenten zeigt das Theaterstück die Stationen des Lebens eines Menschen, der selbst vor dem Volksgerichtshof Würde und Haltung bewahrte. Jeremias Heppeler, ein junger Autor aus dem Donautal, hat einen frischen Zugang und einen vielfältigen Blick auf das Leben von Eugen Bolz geworfen. Unsere Perspektive auf die Geschichte und deren Erzählung werden ebenso thematisiert wie die Möglichkeiten, dieses Leben und seine Wirkungen im Heute greifbar zu machen.

Es spielen: Berthold Biesinger, Franz Xaver Ott, Sebastian Schäfer, Linda Schlepps, Carola Schwelien, Luca Zahn
Regie: Christof Küster
Bühne & Kostüme: María Martínez Peña
Assistenz: Lilia Unger
Premiere: 24. Nov. 2022, Rottenburg
Melchinger Premiere: 28. Jan. 2023
Dauer: 120 Min. mit Pause
Programmheft: Die ganze Hand (PDF)

Eine Kooperation des Theater Lindenhof und der Stadt Rottenburg am Neckar.
Gefördert durch die Diözese Rottenburg-Stuttgart, die Eugen-Bolz-Stiftung und dem Rotary Club Reutlingen-Tübingen-Süd.

 

Pressestimmen

  • „Unter der Regie von Christof Küster erzählt „Die ganze Hand“ mit einer klug gewählten Mischung aus Erzählerwissen, dokumentarischen und gespielten Szenen kein simples chronologisches Biopic. Vielmehr nähert sich Heppeler und mit ihm Küster dem Leben von Eugen Bolz an, in dem er einzelne „Lebenspartikel“ herausgreift: Bolz als Politiker, als gläubiger Katholik, Vater und Ehemann – und als Gefangener. Dabei setzt er bewusst Leerstellen. Denn Bolz‘ Leben bleibt trotz reichen Recherchematerials in Bild, Ton und Schrift widersprüchlich. „Wir hätten es wissen müssen!“ lautet so der vielleicht zentrale Satz, den Bolz, gespielt von Sebastian Schäfer, gleich zu Beginn und später noch mehrfach ausrufen wird. Auf der außer einigen Stühlen leeren Bühne diskutiert er mit Kurt Schumacher („Du bist doch auch auf ihn hereingefallen“) alias Franz Xaver Ott, der wie seine Ensemblemitglieder gleich mehrfach besetzt ist. Die Einspielung von Ton und Bildaufnahmen aus den 30er und 40er Jahren, dazu auf die Leinwand projizierte Schattengestalten, die den Arm zum Hitlergruß recken; an anderen Stellen Überblendungen von Fotografien mit von einer Kamera live gefilmten Bildern der Darsteller – all diese Mittel erzeugen eine verblüffende Näher für den Zuschauer, ermöglichen mühelos Zeit- wie Ortssprünge: Diese reichen vom Hohenasperg, wo Bolz 1933 mehrere Wochen in „Schutzhaft“ war, über das Kloster Beuron, zu einer – freilich – fiktiven Begegnung mit Edith Stein (Linda Schlepps), bis nach Hause zu Tochter Mechthild (wiederum Linda Schlepps) und Ehefrau Maria Bolz (Carola Schwelien), die die Jahre seines Rückzugs, in denen sein Widerstandsgeist aber schließlich die Oberhand gewinnt, einem Journalisten (Luca Zahn) ins Mikrofon schildern. „Die ganze Hand“ bietet summa summarum eine alles andere als staubtrockene, dafür erkenntnisreiche Annäherung an Bolz‘ zu Teilen durchaus auch als tragisch zu bezeichnendes Leben. Denn Bolz liefert Hitler mit der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz den kleinen Finger – und verliert am Ende weit mehr als nur die ganze Hand: sein Leben“. (Uta Reichardt)
    Ludwigsburger Kreiszeitung, 10.11.2024
  • Im Kronenzentrum wird der Korkstreuselteppich zum Feld, auf dem sich Bolz’ Leben ausbreitet. (…) Die vielen Ebenen der Inszenierung, erdacht vom Autor des Stückes, Jeremias Heppeler, und von Regisseur Christof Küster bringen eine frische, unkonventionelle Dramatisierung auf die Bühne, die aber in Teilen den Zuschauer auch verwirrt. Dann sind auch wieder lange Textpassagen eingefügt, die die Lindenhof-Schauspieler kompetent und eindrucksvoll spielen. Das Ensemble spielt wie gewohnt souverän auf und es ist – wie immer – eine Freude, den Lindenhöflern zuzusehen. Ist es die Komplexität von Eugen Bolz’ Charakter, der vom sparsamen Innenminister und Präsidenten zum intellektuellen Hintergrund des Widerstands wird oder seine eigene Zerrissenheit, die das Stück des Öfteren zu fast unverdaubarer Kost werden lassen, lassen müssen, um es umso eindrücklicher werden zu lassen? In der zweiten Hälfte des Stücks kommen Tempo, Musik und Geräusche ins Spiel. Insgesamt findet eine Einordnung des Lebens von Eugen Bolz statt, die den als württembergischen Held gefeierten auf seinen Platz stellt: „Ich bin kein Held, ich bin eine Warnung“, sagt er. Und Erzähler Luca Zahn stellt die Frage: „Wie, geehrter Zuschauer, hätten sie reagiert, wie hätten Sie gehandelt?“  Damit werden auch die Parallelen zum heutigen Deutschland deutlich und das Theaterstück zu einem Lehrstück (…). (Gabriele Szczegulski)
    Bietigheimer Zeitung, 11.01.2024
  • Der Lindenhof wählte Jeremias Heppeler als Autor des Theaterstückes und stellte ihm mit dem Regisseur Christof Küster und der Bühnenbildnerin und Kostümentwerferin María Martínez Peña ein bewährtes Duo zur Seite. Das Stück über den beabsichtigten Tyrannenmord und dem Satz von Bolz: "Bei offensichtlichem und dauerndem Missbrauch der Staatsgewalt besteht ein Notwehrrecht des Volkes", gibt den vielseitigen Lindenhöflern reichlich Gelegenheit, zu glänzen. Etwa, wenn der SPD-Politiker Kurt Schumacher, gespielt von Franz Xaver Ott, und Sebastian Schäfer als Bolz, ein Streitgespräch über die Ermächtigungsabstimmung führen. Oder wenn Schäfer mit Berthold Biesinger als rot berocktem, bedrohlich wirkenden Nazi-Richter Freisler zusammentrifft der ihm entgegen geifert: "Es hat sich ausgebolzt". Auch der imaginäre Gedankenaustausch von Bolz mit der jüdischen Philosophin und Frauenrechtlerin Edith Stein (Linda Schlepps) im Kloster Beuron. Beide suchten Kontemplation und Ruhe im Kloster, sind sich aber wohl nie begegnet. [...] Dem betroffenen Zuschauer bleibt trotz allem die Zuversicht und Hoffnung. Denn Bolz’ Satz vom "Notwehrrecht" fand später Einzug in das Grundgesetz. (Erika Rapthel-Kieser)
    Schwarzwälder Bote, 01.02.2023
  • Autor Jeremias Heppeler hat einen frischen Zugang zu dem Politiker und Widerständler Eugen Bolz gefunden, Regisseur Christof Küster schuf daraus eine anschauliche Inszenierung mit eleganten Perspektivwechseln. Der anfängliche Überrumplungseffekt ist wohlplatziert. Schon in der nächsten Sequenz wird einfühlsam zurückgerudert, aufgestachelte Emotionen werden behutsam aufgefangen. (...) In entwaffnender Aufrichtigkeit und respektvoller Bescheidenheit scheuen sich die Darsteller vor der Herausforderung, ein Leben und eine Zeit wie die während des Nationalsozialismus' inszenieren. Ausdrucksstark und im Blickkontakt mit dem Publikum veranschaulichen wechselnde Erzähler Eugen Bolz' anfängliches Leben (...). So entsteht ein kurzweiliges Portrait des Politikers. Die Gesamtwirkung ist fesselnd. Per Live-Kamera werden die Darsteller auf der Bühne in die historischen Bilder projiziert. Durch das gesamte Stück zieht sich Eugen Bolz' unerschütterlicher christlicher Glauben, an dem er bis zu seiner Hinrichtung festhielt. Der Abschied von Frau und Tochter ist tränenrührend. Immer wieder richtet sich die Live-Kamera auch in den Zuschauerraum, lässt Geschichte und Gegenwart verschmelzen - auffordernd, nachdenklich. (Jana Breuling)
    Schwäbisches Tagblatt, 26.11.2022
  • Der Widerstandskämpfer und württembergische Staatspräsident von 1928 bis 1933 Eugen Bolz (1881-1945) wird in der CDU-Hochburg Rottenburg mit dem Bekenner-Bischof Joannes Baptista Sproll als katholisch-demokratischer Märtyrer verehrt (...). Der 33-jährige Autor Jeremias Heppeler setzt sich in seinem Doku-Drama mit diesem Mythos ebenso auseinander, wie mit der Frage, warum der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus gescheitert ist. (...) Der Regisseur Christof Küster arbeitet multimedial. Die Schauspieler werden live gefilmt und auf einer Leinwand in historische Fotos, etwa von der Klosterbibliothek oder von Bolz'  Wohnzimmer projiziert. Eine spannende Requisite sind Korkschnipsel. Mit ihnen wird Bolz bei seiner Verhaftung vom Mob überschüttet. Später funktioniert der immer wieder glattgestrichene Kork als eine Art Sandbild, in das Kreuze mit oder ohne Haken gemalt werden und das die enge Begrenzung der Kerkerzelle des gefangenen Bolz, aber auch die spießige Enge seines Wohnzimmers darstellt. Nach der Pause nimmt das Stück mit dem gescheiterten Stauffenberg-Attentat Fahrt auf. Mit Bühneneffekten, Geräuschen und Musik wird Anspannung und Tempo spürbar gemacht. Berthold Biesinger gelingt in der Rolle der beiden Nazis Wilhelm Murr und Roland Freisler eine schauspielerische Glanzleistung. (...) Über verschiedene Erzähler (meist Luca Zahn) werden die historischen Figuren eingeordnet und die Frage nach der historischen Bewertung gestellt. Am Ende zieht Schäfer als Bolz das Fazit: "Ich bin kein Held, ich bin eine Warnung". (Martin Zimmermann)
    Gea Reutlingen, 26.11.2022