Die Bilder hätten nicht stärker sein können, der Winterwind kaum kälter: Die Premiere der neu erzählten „Winterreise“ des Theaters Lindenhof in Melchingen ging wohl allen Besuchern unter die Haut: Nicht nur wegen des 40-minütigen Theater-Spaziergangs auf dem Himmelberg. Denn der war nur eine von fünf Stationen, Reisebus inklusive, durch die die Premierenbesucher da geschleust wurden. (…) Es ist ein logistisches Mammut-Werk, an das die Melchinger, an das sich Regisseur Christoph Biermeier und Dramaturg Georg Kistner da heranwagen, um für 150 Theaterbesucher, aufgeteilt in drei Gruppen, eine Geschichte von Heimatlosigkeit und Entwurzelung, von Einsamkeit und Erkaltung so eindrücklich in Szene zu setzen. Die Theatermacher von der Alb werfen da alles in die Waagschale, was sie haben: Ein verlässlich auf hohem Niveau agierendes Ensemble, den Gastschauspieler Rahul Chakraborty in der Rolle des Schubert, die Sopranistin und Gesangslehrerin Regina Greis, auch in der Rolle der Karoline von Esterhazy, die herausragende Komponistin Susanne Hinkelbein und vor allem den Mut, den Etat für ein ihnen wichtiges Projekt wohl bis an die Grenze zu strapazieren. (…) Der kleine Schönheitsfehler in einem ansonsten herausragenden Werk der darstellenden Kunst: Die Neu-Inszenierung weist gen Schluss Längen auf. Aus den drei Stunden werden dreieinhalb, die Hommage an den unlängst verstorbenen Autor und Freund Peter Härtling im letzten Teil gerät zu lang. Da wird manches doppelt erzählt oder noch einmal betont, was schon gesagt und schon gespielt wurde. Da hätte straffen gut getan, weniger wäre mehr gewesen. Trotzdem: auch diese „Winterreise“ wird bleibende Spuren hinterlassen. Nicht nur im Schnee auf dem Himmelberg. (Erika Rapthel-Kieser)