Mit den vielen jungen Menschen im Publikum, den Szenefolgen kurz wie Videoclips und Schauspielern in ihren Mittzwanzigern wirkt es wie ein weiteres, unbewusstes Signal: Das hier könnte heute sein, ist jung und gegenwärtig. Es spielt vielleicht in deinem Kaff. Diese Inszenierung sagt: Alles da. In diesem Stück. Immer. Auch Mann erstickt Frau. Eine Beziehungstat. Die Inszenierung hat Charme, Witz und Tempo. Das todtraurige Mädchen als kleines Püppelspiel. Ein Affenkopf. Jahrmarktgeräusche. Raus aus den weißen Arztkitteln, rein in die Tambourmajor-Glitzerjacken. Raus aus der Doktorarroganz, rein in die Welt der armen Leut‘, einer Marie, eines Woyzeck. Das sind logistische, kostümtechnische und vor allem geistig-seelische Marathons in Wimpernschlagzeit. So hat jeder Schauspieler nicht nur seine Rolle, sondern das gesamte Drama in sich, aus jeder Perspektive. Es sind bange, wütend machende Szenen dabei, Marie allein und überfordert mit dem Baby, Woyzeck, dem die Welt auseinander fällt, alles Hohl, sogar dem Bühnenbild fallen die Buchstaben wie Zähne aus. In Büchners Werk sind Marx und Freud ja schon vorgezeichnet, die soziale Deklassierung und die bürgerliche Kunst, das eigene Privileg als Recht wahrzunehmen. Doch was ihn wirklich zu einem Zeitgenossen macht, ist dieser Dreiklang aus revolutionärer Wut, Fatalismus und Sympathie für die Gedemütigten. Wenn man da drei junge, enthusiastische Menschen auf der Bühne hat, ist es ein großes Glück. (Peter Ertle)