Nicht über Gustav Mesmer wird hier erzählt, er selbst erzählt, in gewisser Weise, denn: 95 Prozent des Textmaterials stammen von Mesmer selbst. Die meiste Zeit seines Lebens entmündigt, wird ihm hier sozusagen reichlich sein eigener Mund zurückgegeben. Das gab es noch nie. In Kombination mit der Anverwandlung dieser Figur durch Franz Ott, den luziden Bildern von Visualmaster und Regieauge Finn Bühr und dem atmosphärisch dichten Livesound des Klangzauberers Thomas Maos entsteht so fast ein moderner Woyzeck. Ein Stück Arthouse-Theater, dem das Kunststück gelingt, gleichzeitig eingängig zu sein. Ein Theater-Glücksfall. In dieser Inszenierung steckt spürbar Franz Otts langjährige Befassung mit Gustav Mesmer, sowohl von der Materialerkundung her als auch von der Kenntnis der Figur, ja der Anteilnahme, wie man hier wirklich sagen muss. Wenn Franz Ott als Gustav Mesmer an seinem Schreibtisch kauert, Briefe an die Eltern nachhause schreibt oder in seiner Biografie den Alltag in der Psychiatrie schildert, ist das herzzerreißend. Bastelt er an seinen Erfindungen und murmelt seine Beschreibungen und Gebrauchsanweisungen dazu, wird Thomas Maos‘ Musik kindlich clownesk – eine Komödie. Wenn Mesmer die Heimat in Altshausen oder ihn umfangende Natureindrücke beschreibt, wechselt der sonst abstrakt untermalende Klangteppich zu zarten, beruhigenden Melodien, das musikalische Pendant einer Beheimatung. Kalt und beunruhigend dagegen Finn Bührs Video leerer Anstaltsflure, fast ein Standbild, bis dann doch schemen- ja geisterhaft ein Mensch langsam entlangschleicht. Das ist, als Komposition, sorgsam und stimmig zusammengebaut. Die richtige Atemluft für eine Figur, die viele Gesichter hat, beschämt, verschmitzt, ernsthaft sinnierend, verzweifelt. Eineinhalb Stunden vergehen „Wie im Flug“, wie man hier wohl formulieren sollte. Dieser „Ikarus vom Lautertal“ ist nichts weniger als: ein Meisterwerk. (Peter Ertle)