Regisseur Christoph Biermeier und seine Darsteller Linda Schlepps, Gerd Plankenhorn und Stefan Hallmayer nähern sich Goethes zentralem Werk mit radikal heutigen Mitteln als Menschen, die ihre Rollen, die sie spielen, hin und wieder auch tauschen und hinterfragen an. Zur Besonderheit von Biermeiers Inszenierung und Georg Kistners dramaturgischem Konzept gehört es, dass im Spiel der Darsteller – wie in einer offenen Laborsituation – alles möglich ist. Da werden Szenen variiert, wiederholt und verworfen. Da werfen sich die Akteure Textstellen um die Ohren, die für oder gegen etwas sprechen. Da wird im Stil rechtsradikaler Bands musikalisch gepoltert (in Auerbachs Keller) Oder Heinz alias Faust, der im Stil Harvey Weinsteins Gretchen im Bademantel empfangen hat, gibt sich selbst singend mit den Worten „I Did It My Way“ die Absolution. Viel hat Biermeier in den Theaterabend hineingepackt, wie die Flüchtlinge, die vor Europas Küsten im Meer ertrinken. Es ist aber auch immer wieder erstaunlich, wie viel in „Faust“ über Dinge, die uns heute beschäftigen, drin steckt. Die Schauspieler geben den ganzen Abend lang alles, immer bereit, vom Jetzt in den Originaltext und seine Empfindungen abzutauchen, um im nächsten Moment die vorgefundene Situation zu konterkarieren oder auch hemmungslos gegen den Strich zu bürsten. (Christoph B. Ströhle)