Es ist eine kühne Mischung zwischen autofiktionalem Bericht und kühler Kolportage. Helgard Haug protokolliert beide Katastrophen, die kleine private und die große des mysteriösen Todesflugs in bruchlosem Wechsel. Rino Hosennen, Hannah im Hof, Linda Schlepps und Luca Zahn geben die vier Geschwister – Bernhard Hurm und Carola Schwelien werden als Stimmen und Videos eingespielt – ebenso präzise wie wechselweise die nüchternen Berichte einer Nachrichtenagentur oder eines Reporters über den völlig rätselhaften Fall des Fluges MH370 (…). Die Schauspieler spielen nicht, sie reden nur, erzählen, berichten in meist trocken-nüchterner Sprache, mal mit, mal ohne Mikrofon. Diese Prosa zu vertonen, gibt sich Thomas Unruh alle Mühe, aber ein rockiger Song etwa im Pflegeheim muss ohne jeden sprachlichen Rhythmus befremdlich wirken. Claudia Rüll Calame-Rosset bietet, regie-handwerklich sehr sauber, ein paar Bilder, ein paar Einfälle wie die Publikumsbefragung auf, um Theater aus diesem Text zu machen. Wir haben seinerzeit gescherzt, ein Frank Castorf (oder ein Zadek, ein Peter Stein) könnte auch das Berliner Telefonbuch inszenieren, es wäre immer noch aufregend. Doch dieser Text hätte wahrscheinlich auch solche großen Regisseure vor unlösbare Aufgaben gestellt. Es gibt eigentlich keine einzige echte Szene, keinerlei Interaktion zwischen den Figuren, übrigens auch keine biografisch-charakterhaften Zeichnungen (vielleicht mit Ausnahme des Vaters, der auf Demos mal Ho-Ho-Ho-Tschi-Minh skandierte, in einer Frankfurter Männer-WG wohnte und als Auslandspfarrer in den USA Martin Luther King erlebte). (…) Der Irrflug der bis heute verschollenen malaysischen Maschine MH370 ist in der Substanz eine gruselig packende, so rätselhafte wie spannende Story, ein Horror. Dazu haben viele dieses allmähliche Versinken dementer alter Menschen im Nichts, wenn nicht an eigenen Eltern erlebt, so doch als denkbares eigenes Schicksal vor Augen. Helgard Haugs provozierend nüchterner Text beschreibt das in allen Phasen und Details – so sehr die Symptome, Begebenheiten und Verhaltensweisen individuell variieren mögen – ganz sachlich. (Martin Bernklau; Online abrufbar auf cul-tu-re)