Die neueste Produktion des Theaters Lindenhof nimmt Heimatgeschichte aus einer besonderen, sehr persönlichen Perspektive in den Blick. Gustav Meßmer war zeitlebens ein Ausgestoßener. Dennoch hielt er immer an seinem Traum fest, dass Menschen eines Tages mit Muskelkraft fliegen könnten. (…) In der Gesellschaft, die nur Platz für die Funktionierenden hat, eckte er mit seiner Widerborstigkeit an. Mit einer Körpersprache, die immer wieder in Tanzbewegungen gleitet, zeichnet der Schauspieler ein würde- und respektvolles Bild des Erfinders. Aus biografischen Skizzen formt er einen Menschen, der weint, schreit und zittert. Wie in einer Zwangsjacke kauert er in der Ecke, während über ihm der Raum einzustürzen droht. Und doch blitzen seine Augen vor Glück, wenn er sich dem Traum vom Fliegen ganz nahe wähnt. Finn Bührs Videokunst spiegelt die Zerrissenheit des Erfinders, der an den Gesetzen der Schwerkraft scheiterte. Mit wenigen Requisiten und großen Videoprojektionen rückt das Lebensumfeld Gustav Meßmers beklemmend nah: die dunklen Gänge der psychiatrischen Klinik, übermächtige Kirchenfenster und am Ende ein Foto, das den greisen Erfinder Gustav Meßmer lächelnd zeigt. Schauspiel und Videokunst vermag der Regisseur stimmig zu verbinden. Kopfkino erzeugt die Musik von Thomas Maos. Seine zerklüfteten Klanglandschaften verstören und werden der Geschichte von Meßmers unglücklichem Leben doch sehr gerecht. Mit dem „Ikarus vom Lautertal“ hat das Theater Lindenhof die Geschichte eines Schwaben auf die Bühne gebracht, dessen Erbe umstritten ist. In diesem kritischen Blick auf die Heimat liegt das unerschöpfliche Potenzial des Regionaltheaters, das mit seinen Produktionen immer wieder bundesweit aufhorchen lässt. Es geht um eine gescheiterte Inklusion. Dass Meßmers Erfindungen bis heute Wertschätzung erfahren, ist dennoch ein Lichtblick. Da liegt das gesellschaftskritische Potenzial der neuesten Lindenhof-Produktion. Wie weit hätte dieser Mensch kommen können, hätte ihn die Gesellschaft ernst genommen und seine Gaben genutzt? So bleibt die traurige, und doch hoffnungsvolle Geschichte eines Lebens in Leidenschaft. (Elisabeth Maier)