Gustav Mesmer – Ein Flugradbauer und sein Leben

Von und mit Franz Xaver Ott

Ein Mensch des letzten Jahrhunderts und immer noch spricht er zu uns, weil sein Leben und sein Werk so beredt sind, obwohl ‚Der Ikarus vom Lautertal‘ 35 Jahre lang in psychiatrischen Anstalten weggesperrt war. Gustav Mesmers Ideenreichtum beeindruckt nachhaltig, seine Fluggeräte, Texte, Musikinstrumente, Sprechmaschinen und seine Bilder. Bis ins hohe Alter besaß er eine unermüdliche Schaffenskraft. Er war ein stiller Mensch, der mit seinem Leben eine zähe Geduld haben musste und doch war er nicht verbittert, manchmal ärgerlich, fordernd, hin und wieder auch wütend ob seines Schicksal und der Aussichtslosigkeit. Aber er war nie ohnmächtig, denn er hatte seinen Traum, seine fantasievolle Arbeit an den Fluggeräten, ein Mitteilungsbedürfnis in seinen Texten und die Freude am eigenen Schaffen.

Seine Erfindungen erfahren internationale Wertschätzung. Eines seiner Flugräder wurde 1992 auf der Weltausstellung in Sevilla im Deutschen Pavillon ausgestellt. Auf die Frage ob er zur Ausstellungseröffnung mitkommen wolle, sagte er: ‚Wenn i beim Obendessa wieder dahoim sei ka‘. ‚Dahoim‘ war für ihn sein Geburtsort Altshausen und  in den letzten 30 Jahren seines Lebens das Landheim Buttenhausen. Speziell in dieser letzten Lebensphase hat er ein außerordentliches Werk geschaffen, das jetzt sowohl in Spiel und Musik, als auch in Text-, Bild- und Objektform auf die Bühne kommt.

Darsteller: Franz Xaver Ott
Musiker: Thomas Maos
Regie u. Visuals: Finn Bühr
Komposition: Thomas Maos
Objektbau: Lale Kose, Franz Xaver Ott, Gernot Hloch
Regiehospitanz: Kirandeep Lena Heer
Licht: Jakob Gold, Finn Bühr
Spieldauer: ca. 90 Minuten, keine Pause
Premiere: 19. September 2025, Pausa-Bogenhalle, Mössingen

Mit freundlicher Unterstützung der Gustav Mesmer Stiftung

LindenhofLive: Folge 5: Ikarus von Lautertal

Interview mit Franz Xaver Ott, dem Autor und Schauspieler des Stücks „Ikarus vom Lautertal. Gustav Mesmer – Ein Flugradbauer und sein Leben“, sowie dem Regisseur und Videokünstler Finn Bühr. Geführt am 05.08.2025.
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Pressestimmen

  • Die neueste Produktion des Theaters Lindenhof nimmt Heimatgeschichte aus einer besonderen, sehr persönlichen Perspektive in den Blick. Gustav Meßmer war zeitlebens ein Ausgestoßener. Dennoch hielt er immer an seinem Traum fest, dass Menschen eines Tages mit Muskelkraft fliegen könnten. (…) In der Gesellschaft, die nur Platz für die Funktionierenden hat, eckte er mit seiner Widerborstigkeit an. Mit einer Körpersprache, die immer wieder in Tanzbewegungen gleitet, zeichnet der Schauspieler ein würde- und respektvolles Bild des Erfinders. Aus biografischen Skizzen formt er einen Menschen, der weint, schreit und zittert. Wie in einer Zwangsjacke kauert er in der Ecke, während über ihm der Raum einzustürzen droht. Und doch blitzen seine Augen vor Glück, wenn er sich dem Traum vom Fliegen ganz nahe wähnt. Finn Bührs Videokunst spiegelt die Zerrissenheit des Erfinders, der an den Gesetzen der Schwerkraft scheiterte. Mit wenigen Requisiten und großen Videoprojektionen rückt das Lebensumfeld Gustav Meßmers beklemmend nah: die dunklen Gänge der psychiatrischen Klinik, übermächtige Kirchenfenster und am Ende ein Foto, das den greisen Erfinder Gustav Meßmer lächelnd zeigt. Schauspiel und Videokunst vermag der Regisseur stimmig zu verbinden. Kopfkino erzeugt die Musik von Thomas Maos. Seine zerklüfteten Klanglandschaften verstören und werden der Geschichte von Meßmers unglücklichem Leben doch sehr gerecht. Mit dem „Ikarus vom Lautertal“ hat das Theater Lindenhof die Geschichte eines Schwaben auf die Bühne gebracht, dessen Erbe umstritten ist. In diesem kritischen Blick auf die Heimat liegt das unerschöpfliche Potenzial des Regionaltheaters, das mit seinen Produktionen immer wieder bundesweit aufhorchen lässt. Es geht um eine gescheiterte Inklusion. Dass Meßmers Erfindungen bis heute Wertschätzung erfahren, ist dennoch ein Lichtblick. Da liegt das gesellschaftskritische Potenzial der neuesten Lindenhof-Produktion. Wie weit hätte dieser Mensch kommen können, hätte ihn die Gesellschaft ernst genommen und seine Gaben genutzt? So bleibt die traurige, und doch hoffnungsvolle Geschichte eines Lebens in Leidenschaft. (Elisabeth Maier)
    Theater der Zeit, 24.09.2025
  • Nicht über Gustav Mesmer wird hier erzählt, er selbst erzählt, in gewisser Weise, denn: 95 Prozent des Textmaterials stammen von Mesmer selbst. Die meiste Zeit seines Lebens entmündigt, wird ihm hier sozusagen reichlich sein eigener Mund zurückgegeben. Das gab es noch nie. In Kombination mit der Anverwandlung dieser Figur durch Franz Ott, den luziden Bildern von Visualmaster und Regieauge Finn Bühr und dem atmosphärisch dichten Livesound des Klangzauberers Thomas Maos entsteht so fast ein moderner Woyzeck. Ein Stück Arthouse-Theater, dem das Kunststück gelingt, gleichzeitig eingängig zu sein. Ein Theater-Glücksfall. In dieser Inszenierung steckt spürbar Franz Otts langjährige Befassung mit Gustav Mesmer, sowohl von der Materialerkundung her als auch von der Kenntnis der Figur, ja der Anteilnahme, wie man hier wirklich sagen muss. Wenn Franz Ott als Gustav Mesmer an seinem Schreibtisch kauert, Briefe an die Eltern nachhause schreibt oder in seiner Biografie den Alltag in der Psychiatrie schildert, ist das herzzerreißend. Bastelt er an seinen Erfindungen und murmelt seine Beschreibungen und Gebrauchsanweisungen dazu, wird Thomas Maos‘ Musik kindlich clownesk – eine Komödie. Wenn Mesmer die Heimat in Altshausen oder ihn umfangende Natureindrücke beschreibt, wechselt der sonst abstrakt untermalende Klangteppich zu zarten, beruhigenden Melodien, das musikalische Pendant einer Beheimatung. Kalt und beunruhigend dagegen Finn Bührs Video leerer Anstaltsflure, fast ein Standbild, bis dann doch schemen- ja geisterhaft ein Mensch langsam entlangschleicht. Das ist, als Komposition, sorgsam und stimmig zusammengebaut. Die richtige Atemluft für eine Figur, die viele Gesichter hat, beschämt, verschmitzt, ernsthaft sinnierend, verzweifelt.  Eineinhalb Stunden vergehen „Wie im Flug“, wie man hier wohl formulieren sollte. Dieser „Ikarus vom Lautertal“ ist nichts weniger als: ein Meisterwerk. (Peter Ertle)
    Schwäbisches Tagblatt, 22.09.2025
  • Franz Xaver Ott, der Lindenhof-Schauspieler, Autor und Archäologe der regionalen Geschichte, hat sich intensiv mit dem Mann von der Alb beschäftigt, der seine irrwitzige Lebensbahn überwiegend in Anstalten ziehen musste. Sein Solo „Ikarus vom Lautertal“ brachte er am Freitagabend als grandioses Monospektakel auf die Bühne einer ausverkauften Bogenhalle in der einstigen Mössinger Pausa. Für das Stück unter der Regie von Finn Bühr (großer Name! Es ist tatsächlich der Sohn von Siegfried Bühr) und mit musikalischer Untermalung des Tübinger Avantgarde-Gitarristen und Klang-Tüftlers Thomas Maos nahm sich Franz Xaver Ott vor allem Mesmers erstaunlichen Lebensbericht auf 18 eng getippten Seiten, aber auch andere Schriftzeugnisse – Briefe, Gedichte, Berichte – eines hochoriginellen und gedanklich vollkommen klaren Sprach-Akrobaten mit präzisem Gedächtnis zur Vorlage. Es ist eine hohe Kunst, erzählende, berichtende Prosa, einen Monolog bühnentauglich zu machen. Mit seiner ganzen langen Schauspiel-Erfahrung und einer staunenswerten Präsenz gelingt das Franz Xaver Ott ganz großartig. Kleine Gesten, Bewegungen und Tätigkeiten, viel so genaues wie geduldiges Timing und eine außergewöhnlich konturstarke Diktion machen ihm das möglich. Ein paar schwarzweiße Video-Einspieler im Hintergrund bringen zusätzliche Lebendigkeit in die hochspannende, höchst intensive Darbietung. Die kreativen Klangexperimente zwischen Geräusch und Ton, Loop und Rhythmusmaschine, dazu und auch mal gefälligen Akkorden oder Arpeggien, die Thomas Maos beifügte, waren sorgsam abgestimmt, gerieten aber zulasten der Textverständlichkeit stellenweise eine Spur zu laut. (Martin Bernklau, online abrufbar: https://cul-tu-re.de/lindenhof-die-freiheit-des-irren/)
    Cul-Tu-Re, 20.09.2025
  • Was Ott zeigt, ist eine große schauspielerische Leistung. Die Texte, die er zusammengestellt hat, sind umfangreich, von unterschiedlichen Ebenen und Anachronismen durchzogen. Er trägt sie alleine vor, spielt ein Solo von anderthalb Stunden, das überaus evokativ ist, eintaucht in die textgewordene Seele eines Außenseiters. Das seine Hoffnungen, Ängste, Träume artikuliert. Ott zeichnet das Bild eines Mannes vom Land, der sich, ohne über große Perspektiven zu verfügen, mit sanftem Starrsinn gegen eine viel starrere Welt auflehnte. Und der sich die Perspektive schließlich selbst schuf, indem er sich im Geiste über diese Welt erhob. Thomas Maos als Bühnenmusiker beginnt das Spiel zu begleiten, setzt leise schwebende Klangflächen in den Raum… Es gibt harsche und humoristische Einsätze dieser Musik, Momente in denen Ott und Maos in einen Dialog zu treten scheinen. Manchmal klingt, was Maos spielt. Sakral, manchmal nach Idyll, manchmal bedrohlich. (Thomas Morawitzky)
    Reutlinger Generalanzeiger, 22.09.2025